Verschiedene Schweizer Politiker sind nach Eritrea gereist. Thomas Aeschi hat die Eindrücke seiner Reise exklusiv für BLICK festgehalten.
Um sich ein eigenes Bild von der Situation zu machen, bereisen zurzeit Schweizer Politikerinnen und Politiker Eritrea in unterschiedlicher Zusammensetzung, aber auch individuell: Thomas Aeschi (SVP/ZG), Yvonne Feri (SP/AG), Claude Beglé (CVP/VD) und die Grüne Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli. Heute will auch Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP/BE) ans Horn von Afrika nachreisen. SP-Ständerätin Pascale Bruderer verzichtete auf eine Teilnahme und kritisierte die Reise gegenüber der «NZZ am Sonntag» sogar. Die grosse Frage bleibt: Kann man sich vor Ort überhaupt ein korrektes Bild machen, falls das Land wirklich eine totalitäre Diktatur ist?
Jahren belegen Asylsuchende aus Eritrea den Spitzenplatz in der Schweizer Asylstatistik. Trotzdem scheint sich niemand gross für Eritrea zu interessieren: Weder Bundesräte, parlamentarische Delegationen noch hochrangige Beamte haben Eritrea in den letzten Jahren besucht.
Seitdem bekannt wurde, dass in diesen Tagen Schweizer Politiker für Treffen mit Regierungsvertretern, ausländischen Botschaftern, dem IKRK und Einheimischen nach Eritrea reisen, ist die Aufregung gross. Was kann ich, als einer der Reisenden, nach einer Woche mit vielen Diskussionen mit den unterschiedlichsten Gesprächspartnern bilanzieren?
Überraschenderweise scheint unter den Gesprächspartnern ein grosser Konsens zu herrschen, dass die überwiegende Mehrheit der neu in Europa ankommenden Eritreer als «Wirtschaftsflüchtlinge» zu bezeichnen ist. Selbst zufällig angesprochene Eritreer in den Strassen der Hauptstadt Asmara wissen genau, mit welcher Geschichte ihnen in Europa Asyl gewährt würde, ja sogar die unterschiedlichen Asylpraktiken der einzelnen Länder sind ihnen bekannt. Und bereits jetzt freut man sich auf die Sommermonate, wenn Tausende Ausland-Eritreer für einige Wochen zu ihren Familien zurückkehren, darunter auch Asylbewerber aus der Schweiz.
Nach den Ursachen für diesen Exodus gefragt (die Regierung geht von tausend Auswanderern pro Monat aus), werden verschiedene Gründe genannt: Die tiefen Löhne von nur 100 bis 200 Franken pro Monat bei gleichzeitig hohen Miet- und Lebenskosten, das mangelhafte Bildungswesen oder die fehlende Aussicht auf eine attraktive Arbeitsstelle. Und so spart man gemeinsam einige Tausend Franken, um einem Familienmitglied die Reise über Sudan und Libyen nach Europa zu finanzieren, in der Hoffnung, dass dieses schon bald monatlich Hunderte von Dollars nach Hause überweisen werde.
Vor unserer Abreise hörten wir oft den Vorwurf, dass Eritrea das Nordkorea Afrikas sei. Diese Einschätzung ist klar zu widerlegen, da sie jeglicher Grundlage entbehrt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit konnten wir uns frei bewegen, Fotos schiessen und Gespräche mit Eritreerinnen und Eritreern über politische und andere Fragen führen.
Um einen Eindruck vom Land zu gewinnen, fuhren wir südlich bis an die Grenze zu Äthiopien, jenem Land, gegen das Eritrea während Jahrzehnten einen Unabhängigkeitskrieg führte und mit dem 1998 erneut ein bis heute andauernder Konflikt ausbrach. Wir besuchten Massawa, die ottomanisch geprägte Stadt am Roten Meer. Und im Norden fuhren wir bis nach Keren und Hagaz, wo in den 1980er-Jahren der Unabhängigkeitskrieg tobte.
Von den militärischen Checkpoints, mit denen die Regierung die Bewegungen ihrer Bürger überwachen soll, war kaum etwas zu sehen. Nur ein einziges Mal in der gesamten Woche wurden wird kontrolliert.
Auch in den Strassen Asmaras war von einem Überwachungsstaat nichts zu sehen. Auf dem Markt herrscht tagsüber geschäftiger Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und billiger Importware, und nach Einbruch der Dunkelheit herrscht reger Betrieb in den Restaurants und Bars der Stadt.
Wir bewegten uns jederzeit frei und kamen mit Eritreerinnen und Eritreern schnell ins Gespräch. Da ist der eritreisch-stämmige Deutsche, der zur Hochzeit seines Bruders mit einer Eritreerin nach Asmara reist. Die Hotelangestellte Anfang zwanzig, die in dieser Funktion ihren National Service für 70 Franken pro Monat leistet. Oder der Eritreer-Amerikaner, der in den USA sein Unternehmen verkauft hat, um in seiner Heimat Eritrea eine neue Existenz aufzubauen.
Eritrea ist nicht das Paradies auf Erden – es ist arm und bietet jungen Menschen, die den westlichen Lebensstandard aus dem Fernsehen oder durch das Internet kennen, wenig Perspektiven. Aber es ist auch nicht die Hölle, als die es manchmal beschrieben wird.
Vergleicht man das Land mit anderen afrikanischen Staaten, die einen gescheiterten arabischen Frühling hinter sich haben oder mit viel Propaganda eine Schein-Demokratie aufrechterhalten (etwa Äthiopien, Uganda oder Ruanda), so ist es schwierig nachvollziehbar, weshalb bei Eritrea mit anderen Ellen gemessen wird.
Unsere Gesprächspartner attestieren der Regierung unisono einen starken Wandel während der letzten zwei Jahre. Die Löhne seien gestiegen, sie investiere mehr in Bildung, den hohen Mieten versuche sie entgegenzuwirken. Schritt für Schritt öffne sich das Land auch mehr nach aussen und trete in den Dialog mit anderen Ländern und Organisationen.
Aus diesem Grund plädiere ich dafür, dass die Schweiz dringend ihre Beziehungen zu Eritrea vertieft, um eine nachhaltige Lösung für die eritreische Migration in die Schweiz zu finden.
Thomas Aeschi (37) ist Zuger SVP-Nationalrat. Die Eindrücke von seiner Reise hat er auf Einladung von BLICK festgehalten.