Date: Sunday, 04 June 2017
Im Juni 2016 hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) seine Praxis gegenüber eritreischen Asylbewerbern, deren Zahl sich derzeit auf rund 15 000 beläuft, punktuell verschärft. Seither wird davon ausgegangen, dass Eritreer alleine aufgrund ihrer illegalen Ausreise bei der Rückkehr mit keiner Verfolgung rechnen müssen. Aus diesem Grund erhalten sie in der Schweiz kein Asyl mehr. Eine (glaubhaft gemachte) illegale Ausreise aus Eritrea mag also nicht mehr ohne weiteres die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Das Staatssekretariat stützte sich bei seiner Einschätzung auf einen Bericht über die Situation in Eritrea; es hatte dafür Informationen vor Ort gesammelt und überprüft, unter welchen Bedingungen Rückschaffungen möglich sind.
Ob die neue Praxis des SEM gerechtfertigt ist und wie sich die Menschenrechtslage in Eritrea präsentiert, ist umstritten. In den letzten zwei Jahren haben internationale Organisationen, Asylbehörden, Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen dazu Recherchen durchgeführt und Berichte verfasst.
Mit Spannung wurde darauf gewartet, wie das Bundesverwaltungsgericht die Situation beurteilt und ob es die neue Praxis des Staatssekretariats für Migration stützt. Wie sich in dem am Donnerstag veröffentlichten Grundsatzentscheid zeigt, tut es dies. Zu beurteilen war der Fall eines 2014 in die Schweiz gelangten Eritreers, der um Asyl ersucht hatte. Er sei 2013 aus seiner Heimat geflohen aus Angst, in den Militärdienst eingezogen zu werden, machte er geltend. Das SEM lehnte das Asylgesuch ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Gleichzeitig wurde aufgrund der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs eine vorläufige Aufnahme angeordnet.
Das Gericht teilt die Auffassung des SEM, dass die illegale Ausreise allein die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen vermag. Vielmehr seien zusätzliche individuelle Elemente nötig. Die St. Galler Instanz stützt sich dabei auf eine umfassende Analyse neuster Länderinformationen. Für das Gericht ist insbesondere von Bedeutung, dass Personen aus der Diaspora für kurze Aufenthalte in ihre Heimat zurückreisen – ein Umstand, der schon viel zu reden gegeben hat. Unter diesen Eritrea-Reisenden fänden sich auch Personen, die ihr Heimatland illegal verlassen hätten. Auch sei fraglich, ob die Strafbestimmungen der illegalen Ausreise überhaupt noch angewendet würden. Aufgrund des massiven «Braindrains» scheine ein gewisses Umdenken bei den eritreischen Behörden stattgefunden zu haben: Gegen Rückkehrer werde nicht mehr rigoros vorgegangen.
Laut Bundesverwaltungsgericht lässt sich die Annahme nicht mehr aufrechterhalten, dass Eritreer aufgrund unerlaubter Ausreise in der Heimat mit Sanktionen konfrontiert seien oder generell als Verräter betrachtet und hart bestraft würden. Ein solches Bestrafungsrisiko nimmt das Gericht nur noch dann an, wenn zur illegalen Ausreise weitere Faktoren hinzukommen, welche den Asylbewerber in den Augen der eritreischen Behörden als missliebige Person erscheinen lassen.
Der Entscheid betrifft sämtliche hängigen Verfahren, bei denen Asyl wegen illegaler Ausreise begehrt wird. Der Mann, um den es konkret ging, hat bereits die vorläufige Aufnahme gewährt bekommen und muss die Schweiz nicht verlassen. Ob seine Wegweisung in die Heimat wegen der drohenden Einziehung zum Nationaldienst als unzulässig oder unzumutbar anzusehen wäre, wurde deshalb nicht geprüft. Ebenso wenig äussert sich das Urteil zur Frage, wie mit eritreischen Deserteuren umgegangen werden soll. Das Urteil ist endgültig.
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